Im Folgenden wächst die Lebensgeschichte eines Pferdes.
Pferdegeschichten gibt es wie Sand am Meer. Ich habe sie selbst immer gerne gelesen...und nun möchte ich eine Solche schreiben. In über 30 Jahren Umgang mit Pferden, darunter auch drei eigenen, plus dem Pony meiner Tochter, dem Pferd meiner Mutter und dem Pony meiner Schwester, hat sich eine Menge "Stoff" angesammelt. Vielleicht gelingt es mir, meine Erfahrungen mit Pferden und den dazugehörigen Menschen in einer Form widerzugeben, die für den ein oder anderen lesenswert ist und auch einige Anregungen bieten kann.
Vorerst ensteht hier die Stoffsammlung und ich schreibe ersteinmal auf, was mir nach und nach einfällt.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Tieren und Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Nibor
Die Bretter der Türe knarrten verdächtig.
Von draußen drangen menschliche, ihm unbekannte Stimmen, vermischt mit der seines Herrn an seine Ohren, doch es interessierte ihn nicht mehr.
Er stemmte die Vorderbeine in den Boden und biss mit der ganzen Kraft seiner Kiefermuskulatur in die hölzerne Begrenzung seines Lebensraums. Zusätzlich spannte er die Halsmuskulatur an und drückte den Rücken fest nach unten weg. Ein rülpsendes Geräusch entstand, als er ein Maul voll Luft in seine Speiseröhre hinunterzog. Er verspürte dabei ein Wohlgefühl, das ihm half, die innere Anspannung zu lindern, die sich durch die herankommenden Menschen in ihm breit machte. Er erwartete nichts Gutes.
Das Koppen war die einzige Befriedigung, die man ihm in seinem knapp 4 jährigen Leben nicht genommen hatte. Weder das Anketten, um ihn am Aufsetzen zu hindern – noch diverse, eng um seine Kehle geschnürte Lederriemen konnten ihn davon abhalten. Er hatte gelernt, überall, auf Stein, Holz und sogar ohne aufzusetzen, in seinem Maul ein Vakuum zu bilden, um tief in sein Inneres Luft hineinzusaugen.
Irgendwie erinnerte es ihn an die Zeit, als er noch ein Fohlen gewesen war und die frische, warme Milch seiner Mutter saugen durfte. Damals wusste er noch nichts über die Welt, in die er hineingeboren worden war.
Die ersten 5 Monate hüpfte er unbeschwert mit ihr über die Wiese und genoss es in vollen Zügen, seinen Körper kennenzulernen und seine langen staksigen Beinchen unter Kontrolle zu bringen. Nichts tat ihm weh und die Menschen ließen ihn in Ruhe. Doch eines Tages wurde er von ihr getrennt. Tagelang rief er nach ihr und sie auch nach ihm, jedoch konnte keiner den anderen mehr hören, riechen oder sehen. Er war in einem Hänger, zusammen mit mehreren Leidensgenossen, auf eine fremde Wiese gebracht worden.
Er freundete sich schnell mit ihnen an und vergaß seine Mama. In dieser Gemeinschaft mit den anderen Jungpferden erlebte er den ersten Winter. Wenn es sehr kalt war, drängten sie sich eng aneinander in die offene Holzhütte und spürten Hunger und Durst, weil das Wasserfaß eingefroren war und kein Gras mehr wuchs. Das Heu, das alle paar Tage mal gebracht wurde, schlangen sie gierig hinunter und das Wasser, das sie erwischten, wenn die Sonne das Faß aufgetaut hatte, reichte kaum aus, um sich wohl und gesund fühlen zu können.
Er gewöhnte sich daran, dass der Magen schmerzte. Die Magensäure, die sich trotz Nahrungsmangels ständig in ihm bildete kam ihm manchmal ein wenig die Speiseröhre hoch und das brannte fürchterlich. Er versuchte den Schmerz wegzuschlucken, mit seinem ausgetrockneten Maul, aber so ganz klappte das nie. Egal wie sehr er am Holz der Hütte knabberte: Er bekam nie genug Speichel zusammen....doch dafür entdeckte er rein zufällig, dass man Luft auch schlucken kann und das Schlucken gaukelte ihm vor, den Freßvorgang auszuführen, obwohl keine Nahrung bereitlag.Auf diese Weise konnte er die Langeweile überwinden und sich mit dem Hungergefühl arrangieren.
Als er ein Jahr alt war kamen Männer, die ihm Schmerzen zufügten. Er wurde in den Hals gestochen, brach zusammen und man band ihm die Beine zusammen. Dann schnitt man ihm an empfindlicher Stelle zwischen den Hinterbeinen etwas weg. Die Menschen nannten das „Kastrieren“. Nachdem er wieder aufstehen konnte und das Nebelgefühl aus seinem Kopf verschwunden war, hatte er tagelang Schmerzen, doch davon konnte er sich mit dem Koppen gut ablenken. Überhaupt – Koppen war inzwischen seine Lieblingsbeschäftigung geworden. Die anderen Jungpferde taten es nicht. Sie schienen mit ihren Lebensumständen auch ohne Luftschlucken klar zu kommen.....doch er, Nibor, konnte das nicht.
So lebte er koppend einen Tag nach dem andern, bis zu dem einen, als sich sein Leben wiedereinmal einschneidend verändern sollte. Der bekannte Pferdetransporter kam und nahm in mit. Panische Angst überfiel ihn, als ihn die Männer hineinzuziehen und zu schieben versuchten und er wehrte sich mit aller Kraft...aber das war nicht viel. Trotzdem stieg er, wand sich, sprang in die Luft, zerrte mit dem Kopf am Halfter, das er sich zuvor noch vertrauensseelig hatte überstreifen lassen, weil er ja nicht wußte, was die Menschen vorhatten. Nein, in dieses finstere Loch wollte er nicht einsteigen. Alles Ausschlagen und Aufbäumen half nichts. Die Menschen konnten kräftiger und sehr schmerzhaft schlagen und zerren. Sie waren beängstigend laut und brüllten ihn ununterbrochen dabei an, so dass er völlig entkräftet und erschöpft aufgeben musste.
Dieser Tag, einer der ersten wirklich warmen, sonnigen, die dieser Frühling gebracht hatte, endete für Nibor in einem neuen Stall, bei neuen Pferden, die durch Holzwände und Gitter von ihm getrennt standen. Seine ersten Versuche, sich den Boxennachbarn freundlich, durch die Metallstäbe schnuppernd anzunähern, wurden mit angelegten Ohren und gebleckten Zähnen erwidert. Kam währenddessen zufällig ein Mensch vorbei, so schrie dieser die Pferde an und schlug seinerseits gegen die Gitter, oder auch, wo ihn keine Gitter davon abhielten, gegen die Pferde, egal ob auf deren Köpfe oder Hinterteile. Nibor wusste nun: Fremde Pferde sind gefährlich und mögen ihn nicht und mit Menschen verhält es sich genauso. Zu seinem Glück konnte er das ganze mit Hilfe des Koppens, das sich inzwischen schon zu einer leidenschaftlichen Sucht entwickelt hatte, aushalten und sich dabei selbst in sich zurückziehen.
Nein, er brauchte keine Pferde oder Menschen, auch kein regelmäßiges Futter und Wasser. Er brauchte nur Luft!
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